Autorität der Hadithe und das Bestäuben der Palmenbäume



Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
Danke an: www.icraa.org
Mufti Muhammad Taqi Usmani[1]
Auszug
Eines der Argumente, das angetrieben wird, um die prophetische Autorität, die in den Hadithen manifestiert ist, zu strikt dogmatischen und rituellen Angelegenheiten einzuschränken, ist die Überlieferung über die Bestäubung der Palmen. Mufti Taqi Usmani hat auf dieses Argument geantwortet, indem er den Text der Überlieferung in seinen verschiedenen Versionen vorsichtig analysiert hat. Durch die Hervorhebung der Art der Aussage des Propheten (Allahs Friede und Segen seinen auf ihm) hat er gezeigt, dass der Prophet lediglich eine beiläufige Bemerkung von sich gab und keine ernsthafte Äußerung, geschweige denn einen religiösen Erlass. Was bindend für die Ummah von seiner Präjudiz und Entscheidungen ist, ist das, was sich auf Offenbarung bezieht und hiervon ratifiziert wurde. Folglich ist es so, dass alle Hadithüberlieferungen, welche klare Regelungen enthalten, akzeptiert werden müssen, auch wenn sie sich auf sogenannte weltliche Angelegenheiten beziehen.
1. Einführung
Eine Ansicht, die von einigen säkularen und verwestlichten Kreisen vertreten wird, ist, dass die Autorität des Heiligen Propheten (ﷺ) ohne Zweifel durch den Heiligen Qur’an festgelegt ist und das für alle Generationen für alle Zeiten, die kommen werden. Jedoch sei der Umfang dieser Autorität lediglich auf die doktrinischen Angelegenheiten und Verhältnissen der Anbetung beschränkt. Die Funktion eines Propheten, gemäß ihnen, ist darauf beschränkt, doktrinische Glaubensinhalte der Ummah zu verbessern und sie zu lehren, wie sie Allah anbeten sollen. Was die weltlichen Angelegenheiten angeht, so seien diese nicht durch die prophetische Autorität bestimmt. Diese weltlichen Angelegenheiten beinhalten - laut ihrer Ansicht - alle ökonomische, soziale und politische Angelegenheiten, welche sich an der Angemessenheit jeder relevanten Zeit auszurichten haben und die prophetische Autorität habe keine Bedeutung in dieser Sache. Selbst wenn der Heilige Prophet einige Anweisungen in diesen Feldern geben würde, so habe er es in seinem persönlichen Umfang getan und nicht als Gesandter. So sei es für die Ummah nicht notwendig, solchen Anweisungen zu folgen.
2. Die Überlieferung und dessen Kontext
Die Araber aus Madina pflegten es, ihre Palmen zu befruchten, um sie fruchtvoller zu machen. Diese Maßnahme wurde ta’bīr genannt, was von E. W. Lane erklärt wird:
Er befruchtete eine Palme, anhand dessen, dass der Kolben des männlichen Baums, welcher gequetscht oder zerrieben ist, auf den Kolben des weiblichen berieselt wird; oder indem ein Stängel einer Blütentraube des männlichen Baums in die Blütenscheide eingelegt wird, nachdem der Blütenstaub des vorherigen auf den Kolben des Weiblichen abgeschüttelt wurde.[2]
2.1 Wortlaut der Überlieferung
Dies im Kopf behaltend, lasst uns die folgende Überlieferung lesen, so wie es von Imam Muslim erwähnt wird:
عن طلحة، قال: مررت مع رسول الله صلى الله عليه وسلم بقوم على رءوس النخل، فقال: «ما يصنع هؤلاء؟» فقالوا: يلقحونه، يجعلون الذكر في الأنثى فيلقح، فقال رسول الله صلى الله عليه وسلم: «ما أظن يغني ذلك شيئا» قال فأخبروا بذلك فتركوه، فأخبر رسول الله صلى الله عليه وسلم بذلك فقال: «إن كان ينفعهم ذلك فليصنعوه، فإني إنما ظننت ظنا، فلا تؤاخذوني بالظن، ولكن إذا حدثتكم عن الله شيئا، فخذوا به، فإني لن أكذب على الله عز وجل»
Der Gesandte Allahs und ich gingen an einigen Leuten vorbei, die auf der Spitze von ihren Dattelpalmen standen. Er sagte: „Was tun diese Leute?“ Sie sagten: „Sie bestäuben sie, indem sie das Männliche mit dem Weiblichen zusammen führen, sodass sie bestäubt wird.“ Der Gesandte Allahs sagte: „Ich denke nicht, dass das irgendeinen Nutzen hat (ma adhannu yughni dhālika shai‘ya).“ So erzählten sie dies herum, sodass sie damit aufhörten, dies zu tun. Der Gesandte Allahs wurde darüber unterrichtet und er sagte: „Wenn es ihnen nützt, lasst sie das tun. Ich habe nur ausgedrückt, was ich dachte (fa inni innama dhanantu dhanna). Beschuldigt mich nicht für etwas, was ich auf Grundlage meiner eigenen Gedanken sage, aber falls ich euch etwas von Allah berichte, so folgt dem, denn ich werde niemals Lügen über Allah erzählen, möge Er verherrlicht sein und Erhaben ist Er.“[3]
Gemäß dem gesegneten Gefährten Anas hat der Heilige Prophet (ﷺ) ebenfalls in dieser Angelegenheit gesagt:
أنتم أعلم بأمر دنياكم
Ihr wisst besser über eure weltlichen Angelegenheiten Bescheid.[4]
Die Worte dieser Überlieferung, wenn man sich dessen Kontext anschaut, würden ganz klar zeigen, dass der Heilige Prophet (ﷺ) in diesem Fall keinen absoluten Verbot gegen die Bestäubung der Palmen aussprach. Es ging nicht um die Frage, ob dies erlaubt ist oder nicht. Das, was der Heilige Prophet (ﷺ) tat, war weder ein Befehl, noch ein gesetzliches oder religiöses Verbot, noch eine moralische Verurteilung. Es war nicht einmal eine ernsthafte Feststellung. Es war nur eine Bemerkung, die von ihm abgegeben wurde, welche in der Form einer unmittelbaren und generellen Vermutung war, so wie er es später klar stellte.
ما أظن يغني ذلك شيئا
Ich denke nicht (ma adhannu), dass das irgendeinen Nutzen haben wird.
In einer anderen Version des hadith wurde das Wort ra’y (Meinung) verwendet.[5]
2.2 Die Aussage war nicht imperativ
Niemand kann diesen Satz als eine gesetzliche oder religiöse Beobachtung annehmen. Das ist der Grund, wieso der Heilige Prophet (ﷺ) die Personen, die bei der Sache beteiligt waren, damit nicht adressierte, noch hat er es befohlen, dass sie diese Botschaft ihnen übermitteln sollen. Es geschah durch andere Personen, dass sie über die Bemerkung des Heiligen Propheten (ﷺ) erfuhren.
Obwohl die Bemerkung nicht in der Imperativform war, pflegten es die gesegneten Gefährten des Heiligen Propheten (ﷺ)dennoch, ihm in allem zu gehorchen und zu folgen, nicht nur bei seiner Autorität gesetzlicher oder religiöser Vorschriften. Dies aufgrund ihrer tiefgreifenden Liebe ihm gegenüber, sodass sie schließlich die Maßnahme, an der sie arbeiteten, aufgaben. Als der Heilige Prophet (ﷺ) erfuhr, dass sie auf ihre Maßnahme aufgrund seiner Bemerkung verzichteten, klärte er sie über die Standposition seiner Aussage auf, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden.
Die Substanz dieser Klarstellung ist, dass nur die absoluten Aussagen des Heiligen Propheten (ﷺ) bindend sind, weil jene in seiner Kapazität als einen Propheten seitens Allah, dem Allmächtigen, eingegeben werden. Was das Wort angeht, das er auf Grundlage seiner persönlichen Einschätzung angibt und keine absolute Aussage darstellt, so sollte dies dementsprechend geehrt, doch nicht als Teil der Sharī’ah angenommen werden.
2.3 Arten prophetischer Lehre
Es gibt ein weites Feld in täglich-weltlichen Angelegenheiten, die nicht durch die Sharī’ah gedeckt werden,[6] in denen es den Leuten erlaubt war, gemäß ihren Bedürfnissen und Zweckmäßigkeiten voran zu schreiten und auf Grundlage ihres Wissens und ihrer Erfahrung. Welche Geräte sollten verwendet werden, um ein karges Land zu befruchten? Wie sollten die Pflanzen versorgt werden? Welche Waffen sind für die Verteidigung geeigneter? Welche Pferde sind geeigneter zum Reiten? Welche Medizin ist bei einer bestimmten Krankheit sinnvoll? Die Fragen dieser Art beziehen sich auf das Feld, in der die Sharī’ah keine bestimmte Antwort abgegeben hat. All diese und ähnliche andere Angelegenheiten sind dem Menschen überlassen, welcher diese Probleme durch seine eigene Bemühung lösen kann.
Shah Wali Ullah Al-Dehlawi erklärt die verschiedenen Arten der Berichte des Propheten (ﷺ):
Seid darüber informiert, dass das, was vom Propheten, Friede und Segnungen seien auf ihm, in den Büchern der Hadithe berichtet und aufgezeichnet wurde, in zwei Kategorien einzuteilen sind.
Die erste Kategorie (der prophetischen Wissenschaften) umfasst jene Angelegenheiten, die Mittel zur Verbreitung der Botschaft und der Aussage Gottes, erhaben sei Er, dienen:  „Was nun der Gesandte euch gibt, das nehmt; und was er euch untersagt, dessen enthaltet euch.“ (Qur’an 59:7) Diese sind: a) Das Wissen über das Jenseits und die Wunder des Malakut und all diese basieren auf Offenbarung, b) die göttlichen Gesetze und die Bestimmung über die Gottesdienste und die Hilfen für die Zivilisation, gemäß den Wegen der Bestimmung, die vorher erwähnt wurden. Einige von ihnen sind von der Offenbarung abhängig, während andere auf freier Begründung (ijtihād) abhängen. Die freie Begründung des Propheten, Gottes Friede und Segnungen seien auf ihm, ist auf der Stufe der Offenbarung, weil Gott ihn davor behütete, dass er Meinungen hat, welche auf einem Fehler basieren...
Die zweite Kategorie (der Aussagen des Propheten) umfasst, was nicht unter das Thema der Verbreitung der Botschaft fällt. Was dies betrifft, so haben wir die Aussage des Propheten: „Ich bin nur ein Mensch und wenn ich euch mit etwas gemäß meiner eigenen Meinung anordne, dann bin ich nur ein menschliches Wesen.“ und in seiner Aussage in der Geschichte der Betäubung der Palmen: „Ich habe lediglich eine Vermutung aufgestellt, so beschuldigt mich nicht für diese Meinung, aber wenn ich etwas über Allah erzähle, dann akzeptiert (es), denn ich werde niemals über Gott lügen.“ In diese Kategorie gehört Medizin und ebenso Themen wie die Aussage des Propheten, Friede und Segnungen seien auf ihm: „Seid eifrig, ein schwarzes Pferd (als bestes für den Jihad) zu erwerben; mit einer weißen Markierung auf dessen Stirn“ und dies war auf Grundlage seiner Erfahrung. Hierzu gehört, was der Prophet, Friede und Segnungen Gottes seien auf ihm, in seinem täglichen Ablauf tat, nicht aufgrund religiöser Praktik.[7]
Darüber hinaus ist es das leerstehende Gebiet des mubāḥāt[8], über welches der Heilige Prophet (ﷺ) bemerkte: „Ihr wisst besser über eure weltlichen Angelegenheiten Bescheid.“
Aber dies beinhaltet nicht jene weltliche Angelegenheiten, in welcher der Heilige Qur’an oder die Sunnah spezifische Gesetze festgelegt oder Befehle erteilt haben. Das ist der Grund, wieso der Heilige Prophet (ﷺ), während er die Angelegenheit der Palmenbäume verkündete, gleichzeitig bemerkte „aber falls ich euch etwas von Allah berichte, so folgt dem...“ Dies beinhaltet sogar seinen ijtihād in gesetzlichen Angelegenheiten.
Shah Wali Ullah Al-Dehlawi schreibt:
Die unabhängige Begründung (ijtihād) des Propheten, Friede und Segnungen Allahs seien auf ihm, ist auf selber Stufe mit der Offenbarung, weil Allah ihn davor bewahrt hat, dass seine Meinung auf einem Fehler basiert. Es ist nicht nötig, dass seine freie Begründung anhand offenbarten Aussagen gefolgert wird, wie davon ausgegangen wurde, sondern vielmehr in den meisten Fällen pflegte es Allah, Erhaben sei Er, ihm die Intentionen des göttlichen Gesetzes und des Prinzips der Gesetzgebung, Erleichterung und Entscheidungen zu lehren, die er durch Offenbarung gemäß diesem Prinzip erlernte. [Dies beinhaltet] praktische Weisheit und generell nützliche Absichten, die er nicht für eine spezifische Zeit festlegte, noch setzte er Grenzen fest; beispielsweise, als er guten Charakter und dessen Gegenteil erklärte. Diese beruhen generell auf individuelle Begründung (ijtihād) in dem Sinne, dass Allah, Erhaben sei Er, ihn über die Prinzipien über die Hilfe der Zivilisation informierte, von der er dann eine zugrundeliegende Begründung (ḥikma) folgerte und dies zu einem generellen Prinzip machte.[9]
3. Schlussfolgerung
Das Ergebnis der obigen Diskussion ist, dass die Sunnah des Heiligen Propheten (ﷺ) die zweite Quelle des islamischen Gesetzes ist. Was auch immer der Heilige Prophet (ﷺ) in seiner Kapazität als Gesandter sagte oder tat, ist für die Ummah bindend. Diese Autorität der Sunnah basiert auf der Offenbarung, die er von Allah erhielt. Jedoch ist das Befolgen des Heiligen Propheten (ﷺ) eine andere Form der Gehorsamkeit gegenüber Allah. Diese prophetische Autorität, die durch eine große Anzahl an qur'anischen Versen festgelegt wird, kann nicht eingeschränkt werden, weder durch die Einschränkung seiner Autorität, noch, indem weltliche Angelegenheiten von dessen Geltungsbereich entfernt werden.

Referenzen & Bemerkungen:
[1] Dieses Schreiben basiert auf Mufti Usmanis Buch „Die Autorität der Sunnah“, das aus mehreren Bändern besteht und ein in arabischer Sprache verfasster Kommentar bzgl. Sahih Muslim ist. Siehe, Usmani, Muhammad Taqi, Die Autorität der Sunnah, (Karachi: Idaratul Quran, 2004) 67, 70-74; Takmila Fath Al-Mulhim, (Beirut: Dar al-Ihya al-Turath al-‘Arabi, 2006) Band 4, 515-517. Die Einteilung der Inhalte erfolgte hier durch Waqar Akbar Cheema.
[2] Lane, Edward William, Arabic-English Lexicon, (Beirut: Librairie du Liban, 1968) Band 1, 5
[3] Muslim bin Al-Hajjaj, Al-Sahih, Übersetzt von Nasiruddin Al-Khattab, (Riyadh, Darussalam, 1997) Hadith 6126 (139-2360)
[4] Ebda., Hadith 6128 (142-2362)
[5] Ebda., Hadith 6127 (140-2362)
[6] Siehe Bemerkung 8 unten.
[7] Al-Dehlawi, Shah Wali Ullah, Hujjat Allah Al-Balighah – The Conclusive Argument from God,  Übersetzt von Marcia K. Hermansen (Islamabad: Islamic Research Institute, 2003) 373-374
[8] Der Ausdruck mubāḥ bezieht sich auf eine der fünf gesetzlichen (shar’ī) Normen der Handlungen und könnte „neutral“ übersetzt werden.
„Es muss betont werden, dass das Normale eine strikte gesetzliche Kategorie ist, als dass es ein Bereich ist, in der die Shari’a versagte, oder sich nicht darum kümmerte, menschliche Handlungen zu regulieren. Eine Handlung als neutral zu kategorisieren ist sowohl eine vorsätzliche Wahl als auch eine absichtliche Zusage, bestimmte Werte nicht bestimmten Handlungen zuzuschreiben.“ Siehe Hallaq, Shari’a, Theory, Practice, Transformations, (New Delhi, Cambridge University Press, 2009) 85
[9] Al-Dehlawi, Shah Wali Ullah, Hujjat Allah Al-Balighah – The Conclusive Argument from God, 373

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