Qur'an 2:26 - Beweis der Unvollständigkeit des Qur'an?

Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!

Vorwort

Eine Behauptung hinsichtlich der Erhaltung des Qur'an, auf die ich neuerdings gestoßen bin, bezieht sich auf einen Vers, welcher angeblich auf eine andere Passage des Qur'an zurückgreift, welche im Qur'an gar nicht existiert. Die Islamkritiker ziehen hierbei den Schluss, dass der Abschnitt des Qur'an, auf den in einem anderen Vers Bezug genommen wird, verloren gegangen ist.

Die Kritik

Die Islamkritiker zitieren hierbei folgenden Vers aus dem Qur'an:

Qur'an 2:26

Wahrlich, Allah schämt sich nicht, irgendein Gleichnis zu prägen mit einer Mücke oder mit etwas darüber. Nun diejenigen, die glauben, wissen, daß es die Wahrheit von ihrem Herrn ist. Diejenigen aber, die ungläubig sind, sagen: "Was wollte denn Allah mit einem solchen Gleichnis?"...

Es wird behauptet, dass dieses Gleichnis im Qur'an gar nicht existiert und er deswegen unvollständig ist.

Antwort

Bevor wir uns anhand den klassischen Auslegern des Qur'an anschauen, wie dieser Vers zu verstehen ist, möchten wir erwähnen, dass die Antwort auf solch eine Kritik offensichtlich ist, weswegen wir eigentlich keine Ausleger benötigen.

Denn der Vers impliziert keineswegs, dass so ein Gleichnis im Qur'an existiert, sondern trifft lediglich eine allgemeine Aussage zu den Gleichnissen Allahs. Diese Aussage ist, dass Allah Sich nicht davor schämt, irgendein Gleichnis zu prägen, auch wenn darin eine Mücke oder etwas größeres als diese involviert bzw. enthalten ist. Hier wird vielmehr eine Eigenschaft Allahs beim Prägen Seiner Gleichnisse beschrieben, als dass ausgesagt wird, dass tatsächlich so ein Gleichnis im Qur'an existiert.

Die Aussage der Ungläubigen im selbigen Vers bezieht sich auf eine Reaktion, die sie von sich geben, wenn sie ein Gleichnis dieser Art hören, d.h. wenn im Gleichnis etwas wie eine Mücke oder etwas, was ihr darüber liegt, auftaucht.

Die Kommentare der Exegeten zu diesem Vers

Ibn Kathir sagt in seinem Tafsir zu diesem Vers:

In dieser Ayah (Qur'an 2:26) sagt Allah, dass Er Sich nicht davor schämt oder zögert, ein Beispiel oder Gleichnis von irgendetwas zu machen, egal ob das Beispiel eine signifikante oder insignifikante Angelegenheit beinhaltet.
Allahs Aussage: „oder mit etwas darüber.“ (Qur'an 2:26) fama fawqaha bedeutet etwas größeres als die Mücke, welches eines der insignifikantesten und kleinsten der Geschöpfe ist. Muslim berichtete, dass Aishah sagte, dass der Gesandte Allahs sagte: „Kein Muslim wird durch einen Dorn leiden, fama fawqaha (oder etwas größeren), ohne dass dabei eine gute Tat für ihn aufgeschrieben und eine böse aus seinem Verzeichnis gelöscht wird.
So hat Allah uns darüber informiert, dass es keine Sache gibt, die zu klein ist und somit vom Verwenden innerhalb eines Beispiels ausgeschlossen wird, auch wenn sie so insignifikant wie eine Mücke oder Spinne ist. Allah sagte:

Qur'an 22:73
O ihr Menschen, ein Gleichnis ist geprägt, so hört darauf: Gewiß, jene, die ihr an Allahs Statt anruft, werden in keiner Weise vermögen, eine Fliege zu erschaffen, auch dann nicht, wenn sie sich dazu zusammentäten. Und wenn die Fliege ihnen etwas raubte, könnten sie es ihr nicht entreißen. Schwach ist der Suchende wie der Gesuchte.

Qur'an 29:41
Das Gleichnis derer, die sich Helfer außer Allah nehmen, ist wie das Gleichnis von der Spinne, die sich ein Haus macht; und das gebrechlichste der Häuser ist gewiß das Haus der Spinne - wenn sie es nur begreifen würden!
...
Mujahid kommentierte Allahs Aussage:
„Wahrlich, Allah schämt sich nicht, irgendein Gleichnis zu prägen mit einer Mücke oder mit etwas darüber.“ (Qur'an 2:26)
„Die Gläubigen glauben an diese Gleichnisse, egal ob sie große oder kleine Dinge beinhalten, denn sie wissen, dass diese die Wahrheit von ihrem Herrn sind und Allah leitet die Gläubigen durch diese Gleichnisse“

Imam Tabari erklärt uns, weshalb dieser Vers offenbart wurde. Dadurch wird uns klar, dass der Vers sich nicht auf eine andere Passage des Qur'an bezieht, sondern eher eine Antwort auf ein Vorwurf der Ungläubigen ist:

Die Mushriqeen und Leugner haben sich darüber lustig gemacht, dass der Qur'an mit unterschiedlichen Mitteln, wie zum Beispiel mit einer Spinne, einer Fliege oder anderen ähnlichen Geschöpfen, Gleichnisse aufstellt und gesagt: „Als ob in einem göttlichen Buch Gleichnisse auftauchen.“, indem sie so ihre Einwände fort führten. Und dieser Vers des Qur'an hat ihnen diese Antwort gegeben.
...
Für Abdullah bin Abbas,  Abdullah  bin  Mas'ud  und ein anderer Teil der Sahaba ist diese Ayah eine Antwort auf die Munafiqeen, deren Gleichnisse davor in zwei Ayahs zitiert wurden. Es ist so: Als Allah die Munafiqeen mit denen verglich, bei denen ein Feuer angezündet wird und das Licht (des Feuers) weggenommen wird und die in einer dunklen Nacht dem Regen ausgesetzt wurden, sagten die Munafiqeen: „Allah ist vom Aufstellen solcher Gleichnisse ausgeschlossen. Er ist erhabener und größer, als dass er auf solch ein Niveau herabsinkt.“ Allah hat daraufhin diesen Vers offenbart und somit verkündet, dass Er Sich nicht einmal davor schämt, ein Gleichnis mit seinen schwächsten Geschöpfen - der Mücke eingeschlossen - aufzustellen und sie so zum Schweigen gebracht.

Ein Gleichnis mit der Mücke

Abgesehen von der Behauptung der Islamkritiker existiert jedoch tatsächlich ein Gleichnis, das eine Mücke beinhaltet. Dieses Gleichnis finden wir in den Überlieferungen, in denen Allah persönlich spricht.

Abu Dharr berichtete, dass der Gesandte Allahs sagte:

„Allah, der Erhabene, sagte: „O Meine Sklaven! (...) Wenn der erste von euch und der letzte von euch, der Lebende von euch und der Tote von euch, der frische von euch und der trockene von euch, sich versammeln würden, dem Herzen dessen von Meinen Sklaven zu helfen, der am meisten Taqwa besitzt, so würde dies nicht (einmal) den Anteil des Flügels einer Mücke Meiner Hoheit hinzufügen. Wenn der erste von euch und der letzte von euch, der Lebende von euch und der Tote von euch, der frische von euch und der trockene von euch, sich versammeln würden, sich versammeln würden, dem Herzen dessen von Meinen Sklaven zu helfen, der das schlimmste Herz hat, so würde dies nicht (einmal) Meine Hoheit um den Flügel einer Mücke verringern. (...)"" (Jamiat Thirmidhi, Band 4, Buch 11, Hadith 2495)

Wahrlich, Allah weiß es am besten