Qur’an: Keine Leugnung der Kreuzigung Jesu Christi?



Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
Vorwurf
Christliche Missionare behaupten, dass der Qur’an nirgendwo die Leugnung der Kreuzigung Jesu lehrt. Man mag sich fragen, wie sie dies begründen, da der Qur’an doch explizit in 4:157 erwähnt, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde?
Tatsächlich begründen sie ihre Behauptung mit jenem Vers, indem sie mit ihm spielen. Sie sagen, dass der Vers eher über einen anderen Aspekt der Kreuzigung spricht:
وَقَوْلِهِمْ إِنَّا قَتَلْنَا الْمَسِيحَ عِيسَى ابْنَ مَرْيَمَ رَسُولَ اللَّهِ وَمَا قَتَلُوهُ وَمَا صَلَبُوهُ وَلَٰكِنْ شُبِّهَ لَهُمْ ۚ وَإِنَّ الَّذِينَ اخْتَلَفُوا فِيهِ لَفِي شَكٍّ مِنْهُ ۚ مَا لَهُمْ بِهِ مِنْ عِلْمٍ إِلَّا اتِّبَاعَ الظَّنِّ ۚ وَمَا قَتَلُوهُ يَقِينًا
Qur’an 4:157
und dafür, daß sie sagten: "Gewiß, wir haben al-Masih 'Isa, den Sohn Maryams, den Gesandten Allahs getötet." - Aber sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen so. Und diejenigen, die sich darüber uneinig sind, befinden sich wahrlich im Zweifel darüber. Sie haben kein Wissen darüber, außer daß sie Mutmaßungen folgen. Und sie haben ihn mit Gewißheit nicht getötet.
Anhand dieses Verses behaupten sie, dass es den Juden damals so schien, als hätten sie Jesus gekreuzigt, wobei doch Allah derjenige gewesen sei, der Jesus kreuzigen/sterben ließ, weil es Sein Wille war oder weil Er dies so vorherbestimmt habe.
In Kombination mit diesem Vers zitieren sie einen weiteren, in dem es ähnlich der Fall gewesen sein soll:
فَلَمْ تَقْتُلُوهُمْ وَلَٰكِنَّ اللَّهَ قَتَلَهُمْ ۚ وَمَا رَمَيْتَ إِذْ رَمَيْتَ وَلَٰكِنَّ اللَّهَ رَمَىٰ ۚ وَلِيُبْلِيَ الْمُؤْمِنِينَ مِنْهُ بَلَاءً حَسَنًا ۚ إِنَّ اللَّهَ سَمِيعٌ عَلِيمٌ
Qur’an 8:17
Nicht ihr habt sie getötet, sondern Allah hat sie getötet. Und nicht du hast geworfen, als du geworfen hast, sondern Allah hat geworfen, und damit Er die Gläubigen einer schönen Prüfung von Ihm unterziehe. Gewiß, Allah ist Allhörend und Allwissend.
So soll Allah auch hier die Leser darüber aufklären, dass gewisse Menschen (d.h. Feinde) nicht durch die Hand einer Gruppe von Menschen (d.h. Muslime) getötet wurden, sondern durch Allah persönlich.
Denn sie zitieren folgenden Vers, um zu zeigen, dass Allah Jesus zu sich nahm, d.h. ihn „sterben“ ließ (was jedoch in Wahrheit bedeutet, dass er zu Ihm emporgehoben wurde): 
إِذْ قَالَ اللَّهُ يَا عِيسَىٰ إِنِّي مُتَوَفِّيكَ وَرَافِعُكَ إِلَيَّ وَمُطَهِّرُكَ مِنَ الَّذِينَ كَفَرُوا وَجَاعِلُ الَّذِينَ اتَّبَعُوكَ فَوْقَ الَّذِينَ كَفَرُوا إِلَىٰ يَوْمِ الْقِيَامَةِ ۖ ثُمَّ إِلَيَّ مَرْجِعُكُمْ فَأَحْكُمُ بَيْنَكُمْ فِيمَا كُنْتُمْ فِيهِ تَخْتَلِفُونَ
Qur’an 3:55
Als Allah sagte: "O 'Isa, Ich werde dich (nunmehr) abberufen und dich zu mir emporheben und dich von denen, die ungläubig sind, reinigen und diejenigen, die dir folgen, bis zum Tag der Auferstehung über diejenigen stellen, die ungläubig sind. Hierauf wird eure Rückkehr zu Mir sein, und dann werde Ich zwischen euch richten über das, worüber ihr uneinig zu sein pflegtet.
Das Ziel dieser Behauptung ist es, die Idee der Kreuzigung Jesu unter diesem Vorwand den Muslimen näher zu bringen.
Antwort durch genaues und logisches Lesen des Verses
Die Antwort auf diesen Vorwurf ist ganz einfach und es genügt, sich bloß 4:157 aufmerksam durchzulesen. Nehmen wir doch an, dass Allah im Vers mitteilt, dass nicht die Juden oder Menschen allgemein Jesus gekreuzigt haben, sondern Er ihn am Kreuz sterben ließ oder es Sein Wille war, dass er stirbt oder Er ihm direkt das Leben nahm:
Aber sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen so.
Es erschien ihnen also nur, als hätten sie ihn getötet, obwohl Allah ihm am Kreuz das Leben nahm... nehmen wir einmal das an... weiterhin heißt es:
Und diejenigen, die sich darüber uneinig sind, befinden sich wahrlich im Zweifel darüber.
Das heißt, dass diejenigen, die darüber streiten, sich selbst nicht sicher sind, ob sie ihn getötet haben oder Allah dies tat. Ergibt das Sinn? Würden Juden, die Jesus gekreuzigt haben, Angst bekommen, dass Gott höchstpersönlich Jesus Leben genommen hat und nicht sie selbst ihn getötet haben? Darum ging es den Juden doch gar nicht und solch einen Zweifel würde keine vernünftige Person, geschweige denn eine große Volksgruppe, hegen. Den Juden ging es lediglich darum, Jesus tot auf dem Kreuz zu sehen, um ihn als falschen Messias zu entlarven.
Diese unlogische Schlussfolgerung wird vor allem im letzten Satz eindeutig:
Und sie haben ihn mit Gewißheit nicht getötet.
Das heißt, dass sie im Zweifel waren, ob sie ihn allgemein töteten. Es wäre für die Feinde Jesu allgemein egal, ob er von Allah getötet wurde oder nicht. Es ging ihnen darum, Jesus einfach loszuwerden. Keine vernünftig denkende Person würde nach der Ermordung eines Propheten Angst davor bekommen, ob er tatsächlich durch ihn getötet wurde oder durch Allah höchstpersönlich, weil das für sie keinen Unterschied macht. Denn darum geht es bei Prophetenmördern gar nicht, dies wäre total belanglos. Es geht lediglich darum, den Propheten an sich loszuwerden und seine Mission innerhalb des Volkes durch einen Tod zu beenden. Selbst wenn sie Zweifel bei der Sache hätten, ob Allah persönlich oder sie selbst Jesus töteten, wäre beides ein Beweis für ihre Position: wenn Allah Jesus das Leben am Kreuz nahm, dann – so wäre ihre Ansicht – deswegen, weil Er über den Tod des „falschen Propheten“ triumphieren würde und Sich Selbst diese Ehre zurechnen wollen würde (audhubillah). Außerdem glauben Juden ebenso wie die Muslime und Christen, dass alles durch Allahs Wille und Vorherbestimmung geschieht, weswegen man darin diese Unterscheidung nicht machen würde.
Diese Unterscheidung kreieren die christlichen Missionare fälschlicherweise durch Qur’an 8:17, weil sie den Vers nicht verstehen: Der Vers ist nicht mit dem in Frage stehenden Vers zu vergleichen, da es hier darum ging, dass Allah bei der Schlacht zu Badr die Muslime unterstützte und ihnen den Sieg gab. Der Vers impliziert nicht, dass Allah höchstpersönlich den Speer warf und die Feinde tötete, sondern dass Er Seinen Dienern diese Kraft gab und sie dabei unterstützte:

وَلَقَدْ نَصَرَكُمُ اللَّهُ بِبَدْرٍ وَأَنْتُمْ أَذِلَّةٌ ۖ فَاتَّقُوا اللَّهَ لَعَلَّكُمْ تَشْكُرُونَ
Qur’an 3:123
Allah hat euch doch schon in Badr geholfen, als ihr verächtlich erschient. Darum fürchtet Allah, auf daß ihr dankbar sein möget!
لَقَدْ نَصَرَكُمُ اللَّهُ فِي مَوَاطِنَ كَثِيرَةٍ ۙ وَيَوْمَ حُنَيْنٍ ۙ إِذْ أَعْجَبَتْكُمْ كَثْرَتُكُمْ فَلَمْ تُغْنِ عَنْكُمْ شَيْئًا وَضَاقَتْ عَلَيْكُمُ الْأَرْضُ بِمَا رَحُبَتْ ثُمَّ وَلَّيْتُمْ مُدْبِرِينَ
Qur’an 9:25
Allah hat euch doch an vielen Orten zum Sieg verholfen, und auch am Tag von Hunain, als eure große Zahl euch gefiel, euch aber nichts nutzte. Die Erde wurde euch eng bei all ihrer Weite. Hierauf kehrtet ihr den Rücken (zur Flucht).
Die Situation von Badr kann man keineswegs mit der Situation der „Passion Christi“ vergleichen, da Allah in keinster Weise einer Gruppe beim Ermorden eines Propheten beistehen würde.
Für Qur’an 3:55 siehe HIER und HIER. 
Abgesehen von dieser logischen Schlussfolgerung gibt es keinen einzigen Exegeten aus der Zeit des Propheten oder den Schülern dieser, welche den Vers so ausgelegt haben, wie es die christlichen Missionare tun. Die Behauptung selbst beruht auf einer bloßen, halbherzigen Lesung des qur‘anischen Verses, ohne die Lehren des Propheten zu beachten.
Anzumerken sei noch, dass selbst die Annahme dieser ungerechten Umdeutung des Verses nichts ändern würde. Diese Behauptung beweist weder den Erlösungstod Christi, noch die Erbsünde an sich.  Zudem gäbe es – falls diese erneuerte Interpretation des Verses in Frage käme – keinen Beweis dafür, dass sie stimmt, da der Vers immer noch für die klassischen Interpretationen der Gefährten und Schüler des Propheten zugänglich wäre.
Allah weiß es am besten!

2 Kommentare:

  1. Doch, die Kreuzigung wird geleugnet, mit “es erschien ihnen nur so”, die islamische Interpretation ist dass Allah es für sie nur so hat Erscheinen lassen. Das fand ich immer schlimm, denn warum sollte Allah denn Menschen in die Irre führen? Und als allmächtiger Gott müsste er doch die Auswirkungen davon kennen. Welcher Gott schickt mit einem Zaubertrick Milliarden Menschen in die Irre? (Christen). Das macht nur der Teufel. Für mich ergibt das keinen Sinn, ausserdem ist die Kreuzigung ja eine historische Tatsache, genauso wie Jesu Taufe auch.

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    1. Genau diese Position wird auch im Artikel verteidigt. Die Taufe kann durch sekundäre Geschichtsquellen nicht bestätigt werden. Aus islamischer Sicht kann es so gewesen sein, dass Jesus getauft wurde, viel ist da leider nicht mehr bekannt. Allah hat die Christen durch die Erscheinung der Kreuzigung nicht in die Irre geführt, weil der Glaube an die Kreuzigung vor der Sendung des Qur'an kein kufr war, d.h. nicht heilsentscheidend war. Vielmehr haben die Christen sich selbst in die Irre geführt, weil sie daraus die Erlösung von der Erbsünde gemacht haben, zu dem Paulus v.A. beigetragen hat. Denn vor Jesus wurden bereits viele Propheten getötet, sodass sie zu Märtyrern wurden. Dies wurde auch im folgenden Artikel ausführlich erklärt:

      https://khalidmusawwir.blogspot.com/2020/04/hat-allah-versehentlich-das-christentum.html

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